Ich erinnere mich – und frage mich

Es gab einmal eine Zeit, da stand ich auf der Straße.
Nicht, weil ich nichts zu tun hatte.
Sondern weil ich etwas zu sagen hatte.
Weil es mir nicht egal war, was entschieden wurde – über unsere Köpfe hinweg, über Leben hinweg.
Weil ich verstanden hatte: Demokratie ist nichts, was man besitzt.
Sie ist etwas, das man verteidigen muss – mit Verantwortung und Solidarität.

Ich habe nicht darauf gewartet, was mir zusteht.
Ich habe gefragt: Was ist gerecht?
Ich habe nicht ausgerechnet, was ich bekommen könnte.
Ich habe geteilt. Geholfen. Gezweifelt. Gehandelt.

Und heute?
Heute sehe ich, wie vieles davon bröckelt.
Wie aus Mitdenken ein Mitnehmen geworden ist.
Wie aus Solidarität Selbstbedienung wurde.
Wie Menschen davon sprechen, dass ihnen etwas „zusteht“, ohne zu fragen, ob sie es brauchen.
Oder ob jemand anderes es dringender braucht.

Ich sehe Menschen, die nur noch das System kennen, aber nicht mehr den Sinn dahinter.
Die das Wort Pflicht nur noch aus Formularen kennen – aber nicht mehr aus dem eigenen Inneren.
Die Solidarität mit Rabatt verwechseln.

Und ich stehe da – mit meinen Erinnerungen an ein echtes „Wir“,
mit einem Körper, der vielleicht langsamer geworden ist,
aber mit einer Haltung, die noch immer aufrecht ist.

Manchmal frage ich mich, was mit mir nicht stimmt.
Weil ich so anders denke.
Weil ich nicht „alles mitnehmen“ will.
Weil ich glaube, dass Verantwortung nicht mit dem Pflegegrad endet.

Doch tief drinnen weiß ich:
Ich bin nicht falsch.
Ich bin nur klar.
Und vielleicht bin ich nicht allein.
Vielleicht braucht es nur mehr Stimmen, die sich trauen, für Verantwortung und Solidarität einzustehen.