
Avocado vorne, Bratwurst hinten
Avocado vorne, Bratwurst hinten
Ich kenne da jemanden…
Nach außen gibt er den Musterknaben. Avocado am Morgen, Avocado am Abend, dazwischen ein zuckerfreier Snack. Fettarm, low carb, laktosefrei – und auf gar keinen Fall irgendetwas, das Freude macht.
Die Holde an seiner Seite passt auf wie ein Wachhund. Mit Argusaugen verfolgt sie jeden Bissen, korrigiert jedes Essverhalten und erklärt mit missionarischem Ernst, was gesund ist und was nicht. Ihr erklärtes Ziel: ihn von allem fernzuhalten, was angeblich dick macht. Dass er gar nicht die Veranlagung hat zuzunehmen, spielt dabei keine Rolle. Regeln sind Regeln – und Genuss ist Verdacht.
Besonders köstlich wird es, wenn Gäste kommen. Geburtstag zum Beispiel. Dann serviert sie stolz ihren „vollkommen gesunden“ Kuchen: Vollkornmehl als Basis, Hafermilch statt Milch, natürlich eifrei, dazu Stevia für die Süße. Zuckerfrei, fettarm, selbstverständlich laktosefrei – und für die Gäste garantiert mit Bauchweh inklusive. Das anschließende Abwatschen von deren „ungesundem Lebensstil“ gibt’s gratis dazu.
Er nickt dazu stumm, zeigt Verständnis, hört sich ihre Stimmungsschwankungen an, die vermutlich eher an Nährstoffmangel liegen als an den Gästen. In Wahrheit denkt er währenddessen nur an seinen nächsten Ausflug: eine doppelte Portion Gyros, schön fettig, mit ordentlich Zwiebeln und Knoblauch.
Und so führt er sein kleines Doppelleben. Tagsüber Avocado-Guru unter wachsamen Augen, abends heimlicher Genuss-Rebell mit Bratwurst, Pommes und Gyros im Geheimprogramm. „Ich geh noch mal schnell mit dem Hund.“
Das Absurde daran: er bleibt dünn. Schon immer. Sie ist überzeugt, ihre eiserne Disziplin sei der Grund. Er weiß es besser – und ich auch.
Also lehne ich mich gemächlich zurück, kaue mein Käsebrot und denke:
Ich esse lieber – und sehe euch weiter zu.
