
Aufhören, die Schuld in der Vergangenheit zu suchen
Wir alle haben Erfahrungen, die wehgetan haben: eine schwere Kindheit, ein Hund, der uns als Kind erschreckt hat, ein Partner, der uns verlassen hat. Solche Erlebnisse prägen uns – manchmal tief und dauerhaft. Aber sie sind keine Freifahrtscheine für das Jetzt. Wer immer nur sagt „Ich bin so, weil…“, bleibt stecken. Irgendwann braucht es den Schritt raus aus der Opferrolle hinein in die Verantwortung. Nicht die Vergangenheit bestimmt unser Heute, sondern was wir daraus machen.
Die bequeme Decke der Ausreden
Es ist erstaunlich, wie geschickt wir Menschen uns Ausreden basteln. „Ich bin unfreundlich, weil meine Mutter mich an meinem zweiten Geburtstag komisch angesehen hat.“ – „Ich lasse niemanden nah an mich ran, weil mein Ex mich betrogen hat.“ – „Ich kann mich nicht durchsetzen, weil mich in der Schule alle ausgelacht haben.“
Solche Sätze sind nicht erfunden, sondern alltäglich. Sie sind menschlich. Und sie fühlen sich sogar logisch an.
Doch wenn wir ehrlich sind, sind sie oft nichts anderes als eine Decke, unter die wir uns kuscheln. Diese Decke wärmt uns, sie schützt uns vor der Kälte des Alltags – aber sie hält uns auch davon ab, aufzustehen und uns zu bewegen.
Vergangenheit ist nicht gleich Gegenwart
Natürlich: Unsere Vergangenheit prägt uns. Kein Mensch kommt unbeschrieben durchs Leben. Wunden, Narben und Muster begleiten uns – und sie dürfen gesehen und ernst genommen werden.
Aber da ist eine Grenze.
Wenn Erinnerungen zu einer ständigen Entschuldigung werden, kippt etwas. Dann fangen wir an, die Verantwortung abzugeben. Statt aktiv zu handeln, erklären wir nur, warum wir nicht handeln können. Wir wiederholen unsere alten Geschichten und vergessen, dass wir längst nicht mehr die Kinder sind, die damals hilflos waren.
Und: So viel wir auch aufarbeiten, besprechen, analysieren – wir verändern damit nicht, was passiert ist. Das Gestern bleibt, wie es war. Kein Gespräch der Welt macht es ungeschehen. Aber wir können entscheiden, welche Konsequenzen wir heute ziehen. Wir können nicht die Vergangenheit stoppen, aber wir können im Jetzt andere Wege gehen.
Verantwortung statt Schuldzuweisung
Verantwortung übernehmen bedeutet nicht, die Vergangenheit kleinzureden. Sie bleibt Teil von uns. Aber Verantwortung bedeutet: Ich entscheide heute neu, wie ich mit dem Gestern umgehe.
Das kann unbequem sein. Es ist leichter, den Finger zu heben und zu sagen: „Da liegt die Schuld.“ Viel schwerer ist es, in den Spiegel zu schauen und zu sagen: „Und trotzdem liegt die Verantwortung jetzt bei mir.“
Dieser Schritt macht frei. Denn wer Verantwortung übernimmt, hört auf, sich selbst als Opfer zu sehen. Stattdessen eröffnet sich ein Handlungsspielraum – und damit die Chance, neue Erfahrungen zu machen.
Die Freiheit liegt im Heute
Am Ende geht es nicht darum, Schuldige zu suchen oder Schuld aufzuarbeiten, bis nichts mehr übrig bleibt. Es geht darum, unser Leben wieder in die Hand zu nehmen. Jeder Tag gibt uns die Möglichkeit, neu zu handeln – unabhängig davon, wie viele Narben wir tragen.
Ja, die Vergangenheit erklärt manches. Aber sie bestimmt nicht alles. Wir selbst entscheiden, ob wir uns weiterhin unter der Decke der Ausreden verstecken – oder ob wir aufstehen und das Heute gestalten.
Denn eines ist sicher: Wir können das Gestern nicht ändern. Aber wir können entscheiden, dass es unser Morgen nicht mehr regiert.

